Die Tatsache, dass ich eine für einen kurzen Moment eingefrorene Fliege ewig festhielt, beruhigt mich. Es ist ein warmer Tag und ich fühle, wie sich meine Schweißdrüsen verkrampfen. Die Musik ist zu laut, als dass ich meine Gedanken hören könnte. Ich drehe am Regler. Es wird leiser. Die stechenden Sounds verkleinern sich, der Stich lässt nach. Zuerst denke ich, es sei das Rauschen der Industrie, welche ich von meinem weißen Fenster aus beobachten kann, doch es ist das Nachklingen des Beats. Denn die Industrie kann man nicht mehr hören. Der Mensch verließ sie im April 1986. (Nun, mein Fenster wirkt vielleicht doch nicht weiß. Es ist eines der Fenster auf der Nordseite einer der Plattenbauten. Die graue Hauswand wird rhythmisch von waagrechten, blauen Balkonstreben unterbrochen.) Man gewöhnt sich daran. Als es passierte, saß ich an meinem Schreibtisch und ging die monatliche Kalkulation der Veteranenversorgung durch. Ich nannte das so. In Wirklichkeit hatte ich keine Ahnung, wer die Rechnungen final erhalten würde. Ich nannte sie die Veteranenversorgungsrechnung, diese Benennung hatte ich in antiken Schriften von Plinius dem Jüngeren gelesen. Ich promovierte in Historik. 30 Minuten vorher wurde mir ein ganzes Brot gebracht. Als es passierte lagen mein Messer und mehrere Scheiben Brot aufeinander. Überall Krümel. Kein Brot mehr, keine Veteranenversorgungsrechnungen mehr. Gehe ich heute durch die Straßen, begegnen mir ganz selten ein oder zwei verwirrte Touristen. Der Schnee bildet schon Pfützen auf den Straßen. Die warme Sonne bringt ihn zum Schmelzen. Und jetzt? Jetzt bin ich auch schon lange tot. Tot, wie viele.
zutrine - am Samstag, 25. November 2006, 16:17